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Neue Malerei (2001)


Neue Malerei


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Ansprache Michael Becker

Leiter der wfk zur Ausstellungseröffnung 
Mechthild F. Woestmann / Siegfried A. J. Kiontke an der Wiesbadener Freien Kunstschule am 4. August 2001

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die wfk dokumentiert im Rahmen dieser Ausstellung mit dem Titel „Neue Malerei“ zwei unterschiedliche und jeweils neuartige Arbeitsformen der Malerei. Die Autonomie eines bildnerischen Werkes erweist sich in der Vermittlung ungewöhnlicher Wahrnehmungsformen, in der Erzeugung einer eigenständigen Erlebniswelt, in die sich der Betrachter eigenproduktiv einbinden und neue Erkenntnisse schöpfen kann. Dies muss durch den Einsatz suggestiver bildnerischer Mittel erreicht werden.

Die Autonomie eines Werkes setzt zu deren Würdigung eine unvoreingenommene und geduldige Haltung des Rezipienten voraus. Geht man zu schnell von einem Werk zum anderen über, so verspielt man das kommunikative Potential, das in ihnen enthalten ist.

Mechthild Woestmann öffnet die Bildfläche durch zunächst Reißen, Ritzen, später, was uns zu den aktuellen Arbeiten führt, durch präzises Einsägen. Ihre jüngste Arbeitsphase, die sie 1999 einleitete, brachte die durch die verletzende Handlung entstandene Räumlichkeit zu systematischem gestalterischem Einsatz. Die sich hinter der zweidimensionalen Fläche eröffnende Räumlichkeit wird zu einem besonderen Inszenationsforum. Durch die begrenzende Rückwand der plastischen Konstruktion bildet sich Schatten, der als farbiger Schatten genutzt wird. Durch die Farbtheorie des 19. Jahrhunderts bereits formuliert und vor allem durch die Impressionisten anschaulich umgesetzt, erzeugt die Farbigkeit des Lichts die komplementäre Farbigkeit des Schattens. Diese Schattenfarbe ist faktisch vorhanden, also z.B. auch fotografierbar. Sie ist Bestandteil der messbaren Welt. Diese Schattenfarbe ist allerdings in dem Objekt gar nicht sichtbar. Sie verschmilzt von vornherein mit dem nicht messbaren Bestandteil, der durch die Eigenproduktivität der Physiologie des Auges des Betrachters erzeugt wird. Es handelt sich um die Simultanfarbe. Sie entsteht aufgrund der farbflächigen Umgebungsbedingung. Die Simultanfarbe ist nicht fotografierbar und tritt als physiologisch-geistige Leistung hinzu. Zwei Welten treffen aufeinander und verschmelzen zu einer Einheit. Je intensiver die Konfrontation des Betrachters mit dem Werk ausfällt, um so stärker entfaltet sich die kommunikative Dynamik auf dem Weg zum Sinnlich-Geistigen, zum Transzendenten. Der Betrachter vervollständigt das Werk, ohne ihn wäre es nicht möglich. Damit verschmelzen ein zweites Mal sinnliche Wirkung und geistige Erfahrung zu einer unverbrüchlichen Bedeutungseinheit.

Die Werke von Siegfried Kiontke sind Marksteine einer intensiven Forschungsarbeit an der synthetischen Kraft des menschlichen Geistes. Im Rahmen einer speziellen Form der Synthetischen Malerei entwickelt Siegfried Kiontke eine besondere Arbeitsformel, mittels derer er, anhand einer gegenstandsbegründeten Vorlage, gegenstandsunabhängige Klangstrukturen herauslöst, die objektiv vorliegen, aber erst durch die synthetische Leistung sichtbar und damit erfahrbar gemacht werden. Bemerkenswert ist, dass Kiontke eine einzige Vorlage verwendet. Mit dieser arbeitet er seit 1988. Zunächst konzentriert auf die klangliche Erforschung des negativen Bereichs eines Werkes, ist Kiontke dazu übergegangen, negativ als auch positiv gewonnene Klangstrukturen miteinander in Verbindung zu setzen.

Das scheinbar Immergleiche ist in Wirklichkeit unerschöpflich. Je länger sich Kiontke mit etwas beschäftigt, nicht um so gewöhnlicher wird sein Bezug zu dem Gegenstand, sondern um so ungewöhnlicher. Denn dieser erweist sich als ungeahnt facettenreich. Kiontkes Arbeitsformel bricht von vornherein den gegenstandsmotivierten, oft konventionellen Blick auf. Kiontke untersucht, was zwischen den Dingen als abstraktes Klangpotential, das eine klangmusikalische Dynamik freisetzt, vorliegt. Damit nähert er sich einer Wahrheit an, die nicht beim Offensichtlichen des Gegenständlichen verweilt, sondern diese transzendiert und deren abstrakte Begründungsbasis entfaltet.

Meine Damen und Herren, die wfk setzt sich seit je dafür ein, die Voraussetzungen für ein selbständiges gestalterisches Arbeiten zu vermitteln und wachsende künstlerische Persönlichkeiten auf ihrem individuellen Forschungsgang zu begleiten. Mechthild Woestmann und Siegfried Kiontke zeichnen sich durch ein außerordentliches Engagement aus, das unseres Erachtens die wichtigste Voraussetzung für eine fruchtbare Konfrontation mit dem bildnerischen Medium ausmacht, natürlich gepaart mit einem rastlosen Interesse an der Entfaltung des Arbeitsgebietes. Wir benötigen Menschen, die kritikfähig genug sind, um zu den authentischen Quellen des Schöpferischen vordringen zu können.

Michael Becker / Leiter der Wiesbadener Freien Kunstschule



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